Der Kalalau-Trail auf Kauai soll einer der gefährlichsten Wanderwege der USA sein. Mindestens 82 Menschen kamen auf den 18 Kilometern bis dato ums Leben. Zerklüftete Vulkanfelsen mit ausgesetzten Stellen machen die Route so schwierig.

Wir wissen von all dem nichts, als uns unsere Nachbarn, Anita und Jeff, zu einem Wanderausflug einladen. Beide stammen aus Kalifornien, machen Urlaub auf dem selben privaten Anwesen wie wir. In aller Herrgottsfrüh starten wir. Abfahrt ist um 8 Uhr. Nach einem schnellen Frühstück in Hanalei im Norden der Insel kommen wir an den Ausgangspunkt am Ke’e Beach. Wir wähnen uns gut ausgerüstet: Bergschuhe, Stöcke, genügend Wasser und Bananen im Rucksack. Wir wollen ja nur die ersten zwei Abschnitte gehen. Unsere Begleiter machen sich in Turnschuhen und nur mit einer Flasche Wasser auf den Weg. So schlimm kann es nicht werden, denke ich mir.

Die ersten Höhenmeter geht’s über Steinstufen durch den grünen Regenwald. Bäume überwuchern den Weg, lassen nur hin und wieder eine Aussicht zu. Plötzlich öffnet sich der Blick auf die Nā Pali Coast. Der Ozean schimmert in den unglaublichsten Nuancen – von dunkelblau bis türkis. Die tosende Brandung ist zu hören. Hin und wieder mischt sie sich mit dem Geräusch der Helikopter. Es ist sehr angesagt, die Insel fliegend zu erkunden. Auch wenn dieses Vergnügen mehrere hundert Dollar kostet.

Entlang der Küste geht es vorbei an Drachenbäumen, Palmen und einheimischen Pflanzen. Die Regierung bemüht sich, die Insel mit lokalen Bäumen aufzuforsten. Hawaii hat ein großes Problem mit Bioinvasoren. Über einen kleinen Fluss kommen wir zu einem Strand – dem Hanakāpī’ai Beach. Die Wellen tosen heran, und es ist fast nur die weiße Gischt zu sehen.

Mittlerweile sind wir eineinhalb Stunden unterwegs, haben gerade mal zwei Meilen geschafft. Unsere Begleiter wollen unbedingt noch die Wasserfälle sehen, die zwei weitere Meilen entfernt liegen. Sie machen sich auf den Weg, ich leihe Anita meine Stöcke. Wir vereinbaren, dass wir uns in etwa drei Stunden wieder am Startpunkt treffen.

Wir machen eine kleine Pause, trinken unser mitgebrachtes Wasser und essen die Bananen. Auf eine richtige Tageswanderung sind wir nicht vorbereitet, deshalb gehen wir auch zurück. Zwei Liter Wasser sind bei diesen Temperaturen einfach zu wenig. Auch wenn kleine Rinnsale locken – überall wird gewarnt, daraus zu trinken. Gemütlich wandern wir zurück. Genießen die spektakulären Aussichten.

Zurück am Ausgangspunkt inspizieren wir frohen Mutes den angrenzenden Strand. Die Wellen sind einfach unglaublich. Hier lernte der berühmte, viel zu früh verstorbene, Andy Irons das Surfen (siehe einen interessanten Artikel in der taz: „Ende eines Surfchampions – Ein bodenloser Rausch“).

An diesem Tag zeigt das Meer seine Macht. Wir betrachten das Schauspiel aus sicherer Entfernung. Alle paar Minuten hält ein Auto, inklusive der ortsansässigen Polizisten, um das Spektakel zu fotografieren. Die Wellen scheinen an diesem Tag besonders hoch zu sein.

Nach drei Stunden des Wartens, ohne Essen und Trinken, beginnen wir über Alternativen nachzudenken. Unsere Begleiter haben sich vermutlich überschätzt. Ich spreche diverse Leute auf dem Parkplatz an, ob sie uns mit nach Hanalei nehmen. Von dort fährt ein Bus in die Nähe unserer Unterkunft in Kapa’a. Wir haben Glück. Ein charmantes Pärchen nimmt uns mit, liefert uns an einem Restaurant ab. So gut schmeckte mir schon lange kein Burger mehr. Begleitet von Bier, gemixt mit Sprite. Radler halt! Eine lässige Lady aus Kanada fährt uns in ihrem Benz dann nach Hanalei. Auf der zehnminütigen Fahrt erfahren wir ihre Lebensgeschichte: Sie habe sich gerade erst von ihren Ehemann, einem Drogenbaron, scheiden lassen.

Wir erwischen gerade noch den Bus, welch‘ ein Glück. Eine Stunde später sind wir zu Hause. Unsere Nachbarn sind immer noch nicht aufgetaucht – wir machen uns wirklich Sorgen. Nochmal eine Stunde später, es ist bereits 21 Uhr, höre ich ein Auto. Während Jeff mich nach unserem „Abenteuer“ fragt, sehe ich Anita aussteigen. Sie kann kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen. Diesen Muskelkater möchte ich in den nächsten Tagen nicht haben, denke ich mir, und wünsche den beiden eine gute Nacht.

Am nächsten Tag fragt mich Michael, unser Vermieter, nach unseren Erlebnissen auf dem Kalalau-Trail. Gleichzeitig zeigt er uns ein Video – die ausgesetzte Stelle bei Meile sieben. Ich kann es kaum glauben, dieser Wegabschnitt scheint der Horror zu sein. Hier sind immer wieder Menschen zu Tode gekommen. Wie gut, dass wir irgendwann einfach umgedreht sind. Und unsere Nachbarn – Anita haben wir bis zu unserer Abreise nicht mehr gesehen…