Unten in der Stadt die documenta, oben auf dem Hügel ein Bergpark: Das hessische Kassel überrascht mich vom ersten Moment. 13 Gründe, warum sich ein Besuch jetzt lohnt!

1. Die Akropolis ist ganz nah

Aus tausenden in Folie eingewickelten Büchern baut die Argentinierin Marta Minujín den „Parthenon der Bücher“. Aus der Ferne wirkt der Tempel auf dem Friedrichsplatz wie eine Fata Morgana, ganz nah dran wecken die Buchtitel die Erinnerung an eigene erquickliche Musestunden (zum Beispiel „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ oder „Harry Potter“). Auch wenn das Kunstwerk ein Zeichen gegen das Verbot von Texten und die Verfolgung ihrer Verfasser ist, sind die „Säulen ein Echo des Klassizismus, der die Säulen des Fridericianum und seiner Kustgeschichten im Innern anregte“ (aus „Kassel Map Booklet“ mit Ausstellungsorten und Programm, unbedingt lesen).

Kassel überrascht

Abertausende von Büchern unter blauem Himmel – am Abend leuchtet das Kunstwerk

2. Es war einmal – ich liebe Märchen!

Und am meisten die Gebrüder Grimm. Den beiden ist ein Museum gewidmet – ein Muss (leider kostet der Eintritt extra – lohnt sich aber)! Das Alphabet von Ä (Ärschlein) bis Z (Zettel) führt durch die Räume der Grimmwelt Kassel. Ich erfahre viel über die wissenschaftlichen Leistungen von Jacob und Wilhelm, die sich als Verfasser eines Wörterbuchs und als Sprachwissenschaftler einen Namen machten. Aber auch Kleinwesen wie Wichtelmännchen und Rumpelstilzchen tummeln sich hier. Aus einem Spiegel spricht die Königin mit mir. Und auch dem Glück spürt die Ausstellung nach: „So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne“, sagt Hans im Glück als er besitzlos zu seiner Mutter heimkehrt.

 

Von Ä bis Z, und auch ein Spiegel: ein Besuch in der Grimmwelt Kassel begeistert Groß und Klein

3. Die Stadt lässt sich mühelos erwandern

Wir nutzen den P+R unterhalb des Schlosses Wilhelmshöhe gelegen (kostenfrei, Gebühren nur zu Zeiten der Wasserspiele); von dort geht es mit der Straßenbahnlinie 1 in etwa 20 Minuten in die Stadtmitte. Die Fahrt über die Wilhelmshöher Allee imponiert. Obwohl Kassel im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde, erahnen wir die frühere Prachtstraße mit ihren herrschaftlichen Häusern. Auf dem Friedrichsplatz starten wir mit unserem Rundgang (etwa 12,5 Kilometer – gutes Schuhwerk einpacken!).

Vom Friedrichsplatz folgen wir den documenta 14-Schildern (manchmal schwierig zu finden, auch die stilisierte Karte ist nicht wirklich eine Hilfe, aber für was gibt es Google Maps oder die Offline-App MAPS.ME). Über den ehemaligen unterirdischen Bahnhof geht’s zur Neuen Hauptpost. Um die Beine etwas zu schonen, fahren wir mit der Straßenbahn 1 wieder zurück zum Friedrichsplatz. Das nächste Ziel: die Aussichtsplattform neben der documenta-Halle. Der Blick auf die Orangerie und die Karlsauen erfreut. Für eine kleine Erfrischung suchen wir das Bolero auf, gelegen an der Schönen Aussicht 1A (die Aussicht ist wirklich schön – zum Essen allerdings etwas ungünstig, weil nur Büffet oder Selbstbedienung). Über die Weinberg-Terrassen (im Freien stehen locker verteilt Tische und Stühle – ideal für Kaffee und Kuchen) geht’s zur Grimmwelt. Bei den Torwachen steigen wir abends müde, aber glücklich, wieder in die Straßenbahnlinie 1 ein (gleich in der Nähe liegt das schicke Restaurant Humboldt1a – allein die Speisekarte macht Lust; leider hatten wir keine Zeit mehr für einen Besuch).

 

Goldene Plakate und Wegweiser führen durch die Stadt

4. Es bewegt sich was am ehemaligen unterirdischen Bahnhof

Zum Einstieg präsentiert sich ein mutwillig zerstörter Stadtplan aus farbigem Glas – er fungiere als Schwelle, an der man feststelle, dass die Vorstellung von Lernen und Bildung ständig und notwendigerweise im Fluss sei, heißt es im „Kassel Map Booklet“. „Die untere Ebene erinnert an eine Durchgangsstation – in diesem Fall von Kunst, die möglicherweise gerade erst angekommen ist oder aber in Kürze weiterreisen wird.“ Auf diversen Monitoren flimmern in kurzer Abfolge schreckliche Greueltaten der Menschheit vorüber. Aber es gibt ein Licht am Ende des Tunnels des stillgelegten Bahnhofs: Es grüßt das griechische Wort für Willkommen. „Historisch eingebetteter und in seiner Präsentation simpler Kommentar zur Willkommenskultur – Top“, schreibt Mark-Christian Busse von der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen.

Kassel überrascht

Gewöhnungsbedürftig: die Installation im unterirdischen Bahnhof

5. Herkules hat einen knackigen Po

Von unserem Hotel wandert es sich wunderbar zum Bergpark Wilhelmshöhe (etwa 30 Minuten vorbei an prächtigen Häusern und durch einen märchenhaft grünen Wald). Über die Rückseite nähern wir uns dem Wahrzeichen von Kassel. Plötzlich gehen uns die Augen über – nirgendwo ist der Blick über eine Stadt schöner. Und über alles wacht der Herkules.

Kassel überrascht

Am Bergpark Wilhelmshöhe wacht Herkules über Kassel

6. Überall relaxte und freundliche Menschen

Am Herkules erklärt uns ein älterer Herr die Geschichte und Höhepunkte der Wasserspiele (jeden Mittwoch und Sonntag sowie an Feiertagen). Über die Kaskaden gehen wir seinen Empfehlungen nach. Ein Kasselaner empfiehlt uns die besten Stätten der documenta 14 – inklusive Lokaltipps. Also: einfach immer mal wieder innehalten und Einheimische fragen!

Kassel überrascht

Über hunderte Stufen geht’s nach unten – in einer Achse liegen Bergpark, Schloss und Allee

7. All überall blüht und grünt es

Bunte Blumenwiesen, grünes Gras und prächtige Bäume – ein Spaziergang durch den Bergpark, die Karlsaue und die Weinberg-Terrassen betört die Sinne. Immer wieder bleiben wir stehen, und schauen. Einfach so…

Kassel überrascht

Ein kleines Kunstwerk am Wegesrand unterhalb der Grimmwelt 

8. Wildwurst und Sülze mit Bratkartoffeln …

… die hessische Küche kommt deftig, aber sehr ehrlich daher (leider habe ich das Fotografieren total vergessen – so schnell ziehen mich die Speisen in ihren Bann!). In der Waldgaststätte Hohes Gras probiere ich Wildwurst mit Bratkartoffeln. Wenn schon fett, dann so. Extravagantes Essen gibt es aber auch: kaltes Gurkensüppchen und Gazpacho in kleinen Gläschen serviert, begleitet von Ziegenkäse im Blätterteigmantel mit Aprikosen-Chutney, genossen im Schlosshotel Bad Wilhelmshöhe. Die Terrasse lädt zudem zum Glotzen ein…

9. Zwischen Palais und Post

Während einige Kunstwerke im Freien stehen, bespielen andere besondere Räume. Der Wechsel zwischen moderner Industriehalle (Neue Neue Galerie in der Neuen Hauptpost) und historischen Stätten (Palais Bellevue) inspiriert. Auch wenn mir manche Kunstwerke nichts sagen und ich nicht weiß, was der Künstler damit ausdrücken will, die Vielfältigkeit gefällt mir gut. Und Lesen hilft ja bekanntlich weiter…

Wenn ein Kunstwerk nicht mit mir spricht, heißt es lesen…

10. Von einer Teufelsbrücke ins Tal blicken

Nachhaltig begeistert mich der Bergpark Wilhelmshöhe (Unesco-Weltkulturerbe). Auf 560 Hektar baute Landgraf Carl barocke Wasserlandschaften in die Natur, die ihresgleichen suchen. Wasserfälle, Brücken und sogar ein Aquädukt. Gigantisch! Wir wandern in den frühen Abendstunden an den verschiedenen Bauten vorbei – die mystische Atmosphäre zieht uns ihren Bann. Die Wasserspiele sind zwar vorüber, aber dafür sind wir fast alleine…

Kassel überrascht

Wie im Märchenland: die Teufelsbrücke im Bergpark Wilhelmshöhe

11. Ich mag Obelisken

Auf einem der Plätze der Stadt steht er plötzlich da. Erhebt sich glänzend und mächtig mit der Inschrift: „ICH WAR EIN FREMDLING UND IHR HABT MICH BEHERBERGT“. Eines der Kunstwerke auf der documenta 14, das ich (mit ein bisschen lesen) sofort verstehe.

2015 Schauplatz von Protesten  – jetzt mahnt der Obelisk auf dem Königsplatz

12. Kassel – eine Stadt mit Aussicht

Ob vom Herkules im Bergpark Wilhelmshöhe, der Terrasse des Schlosshotels Wilhelmshöhe, der Aussichtsplattform neben der documenta-Halle oder von den Weinberg-Terrassen – Kassel bietet weite Blicke und schöne Aussichten. Mich fasziniert überall auf der Welt das Gefühl irgendwo oben zu stehen, den Blick schweifen zu lassen und bis an den Horizont zu blicken. Und in Kassel geht das besonders oft. Grandios!

Kassel überrascht

Eine Stadt mit Aussicht: Blick auf Karlsaue und Westpavillon (Orangerie)

13. Überall Märchen – das Druseltal im Habichtwald

Mitten im Druseltal liegt der Habichtwald, und dort steht ein kleines Hotel (Hotel am Herkules). Okay, es ist kein verwunschenes Märchenschloss, aber für einen Kurzaufenthalt ist es perfekt. Sehr ruhig gelegen, günstiger als die Unterkünfte in der Stadt und gut zu erreichen. Und gleich nebenan bietet die einfache Gastwirtschaft Neu-Holland gediegene hessische Gerichte mit indischer Note.

Kassel überrascht

Modern eingerichtet mit einem Hauch Nostalgie – das Hotel am Herkules im Druseltal